Mut zur Freiheit – Reformen anpacken! Der Geschäftsführer der beiden Fachverbände Messtechnik und Präzisionswerkzeuge im VDMA (Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau) fordert die Politik zum Handeln auf. Er verweist zugleich auf viele Chancen, wie die Messtechnik-Branche weiterwachsen kann.
HC: Herr Heseding, jetzt ist die Bundestagswahl vorüber. Welche Wünsche hat der VDMA – mit 3.600 Mitgliedern die größte Netzwerkorganisation und wichtiges Sprachrohr des Maschinenbaus in Deutschland und Europa – an die Politik?
Markus Heseding: Was der VDMA von der Politik erwartet, ist schnell gesagt: Wir haben unsere wirtschaftspolitischen Positionen, diese sind veröffentlicht unter dem Titel ,Mut zur Freiheit - Reformen anpacken‘ und auf unserer Website frei zugänglich.
Es geht im Kern um mehr Vertrauen in die Unternehmen.
HC: Was verbirgt sich hinter dem ‚Mut zur Freiheit‘?
Markus Heseding: Die Broschüre beinhaltet zwölf Themen, die wir zur Tarif- und Wirtschaftspolitik, zum Arbeitsmarkt und zum Zukunftsstandort Deutschland zusammengefasst haben. Mut zur Freiheit sagt ja schon einiges. Es geht im Kern um mehr Vertrauen in die Unternehmen – in die unternehmerische Freiheit – das ist der entscheidende Punkt.
HC: Vertrauen ist sehr wichtig. Das klingt fast nach zwölf Geboten. Was ist der zweite Punkt?
Markus Heseding: Zweiter Punkt ist das Upgrade des Standorts Deutschland. Denn die Unternehmen hier kämpfen mit hohen Steuerlasten, hohen Energiekosten, unzureichender Digitalisierung in der Verwaltung. Da ist vieles viel zu langatmig, da muss etwas passieren. Hier sind wir nicht auf der Höhe der Zeit.
Wir liegen momentan bei 30 Prozent Ertragssteuerlast für Unternehmen! Der Durchschnitt in Europa sind 23 Prozent!
HC: Wie hoch ist die Steuerlast wirklich?
Markus Heseding: Wir liegen momentan bei 30 Prozent Ertragssteuerlast für Unternehmen! Der Durchschnitt in Europa sind 23 Prozent! Wir fordern 25 Prozent. Da ist noch nicht mal der Durchschnitt. Und der dritte Punkt ist Stabilität und Verlässlichkeit.
HC: Worauf zielen die Begriffe Stabilität und Verlässlichkeit ab?
Markus Heseding: In Deutschland gibt es eine große Unsicherheit, weil die Rahmenbedingungen nicht mehr stimmen. Ich könnte hunderte Beispiele nennen. Sie kennen das Heizungsgesetz, das gerade mit Blick auf Vertrauen, Stabilität und Verlässlichkeit eine riesen Katastrophe gewesen ist. Ähnlich die Förderungen von Elektrofahrzeugen, die von heute auf morgen weg gewesen sind, für Pkw und Elektro-Lkw. Unklare Förderpolitik, frühzeitige Beendigung von Programmen, Probleme bei der Infrastruktur, steuerliche Unsicherheiten – Kunden kämpfen mit zu vielen Unwägbarkeiten und investieren dann eher nicht.
HC: Wie kann man es besser machen?
Markus Heseding: Der Staat muss seine Kompetenzen, aber auch deren Grenzen kennen. Gute Wirtschaftspolitik setzt auf die Gestaltung günstiger allgemeiner Rahmenbedingungen und ein wachstumsfreundliches Umfeld, in dem Unternehmen eigenverantwortlich um die besten Lösungen konkurrieren.
Der Maschinenbau könnte vom Sondervermögen profitieren. Da könnte es Impulse gerade durch den Klimaschutz geben.
HC: Mit dem Sondervermögen von 500 Milliarden Euro hat unsere neue Regierung doch jetzt die riesige Chance, viel zu bewegen, Deutschland wirklich wieder attraktiver zu machen. Wird das helfen?
Markus Heseding: Das Sondervermögen ist für Infrastruktur, Klimaschutz und Digitalisierung, davon profitiert unser größter Markt wenig. Der ist im Bereich der industriellen Fertigung, konkret ist es die Automobilindustrie. Aktuell bauen wir pro Jahr 4,1 Millionen Fahrzeuge in Deutschland. Vor Corona waren es 5,5 Millionen. Die 5,5 Millionen erreichen wir vermutlich nicht wieder. Die Gefahr ist: Wenn die Kundenbranchen abwandern, gehen auch zum Teil die Produktionsbereiche weg. Unser zweitgrößter Abnehmer ist der Maschinenbau. Da könnte es Impulse gerade durch den Klimaschutz geben.
HC: Die Rüstungsindustrie boomt. Hilft uns vielleicht die Wehrtechnik weiter?
Markus Heseding: Der Bereich Defense hilft ein wenig. Da wird auch ziemlich viel Metall bearbeitet. Aber das Volumen ist noch gering.
HC: Eine schlechte Marktlage also für die Bereiche Zerspanung und Messtechnik?
Markus Heseding: Die Lage ist generell nicht gut, eigentlich im gesamten Maschinenbau. Speziell die Branche Präzisionswerkzeuge hat in den letzten zwei Jahren negative Zahlen geschrieben – und unsere VDMA-Prognose für dieses Jahr ist mit minus zwei Prozent Produktion auch negativ. In der Längenmesstechnik ist es genauso: Wir haben einen Abwärtstrend.
Die aktuellen Zahlen des VDMA: 7,7 Prozent weniger Produktionsvolumen in der deutschen Längenmesstechnik 2024 gegenüber 2023.
HC: Aber es könnte viel schlimmer sein.
Markus Heseding: Die Lage ist noch nicht existenzgefährdend. Die Unternehmen kommen schon noch über die Runden. Aber man muss auch die Signale aus dem Markt sehen: Konzerne schließen erste unprofitable Werke, es gibt markanten Personalabbau, der Wettbewerb wird härter, Handelshemmnisse spielen eine große Rolle. Das sind Signale, die wir lange Zeit in Deutschland so nicht hatten.
HC: Wie ist Ihre Prognose?
Markus Heseding: Bei der Längenmesstechnik haben wir im Auftragseingang im Jahr 2024 und auch im ersten Monat 2025 einen leichten und leider kontinuierlichen Abwärtstrend verzeichnet. Eine Trendwende lässt sich im Auftragseingang derzeit nicht ablesen. Unsere vierteljährlichen Konjunkturumfragen signalisieren ebenfalls einen Marktrückgang. Knapp 30 Prozent der Hersteller von Längenmesstechnik haben gesagt, dass sie bis zur Jahresmitte eher eine weitere Verschlechterung im Geschäftsverlauf erwarten. Und nur vier Prozent sehen eine Besserung.
HC: Erwarten Sie positive Signale von der bevorstehenden Control – Internationale Fachmesse für Qualitätssicherung, die vom 6. bis 9. Mai in Stuttgart stattfindet?
Markus Heseding: Eigentlich immer. Auf der Control stellen Firmen aus mehr als 30 Ländern aus. Es ist die beste Messtechnik-Messe weltweit für die Fertigung. Und wir erwarten prinzipiell starke Innovationen. Zusätzlich findet ja auch noch die Moulding Expo in Halle 6 statt. Der Werkzeug- und Formenbau und die Präzisionswerkzeuge werden also auch Fachbesucher auf das Messegelände holen.
HC: Wie weit sind die Branchen Präzisionswerkzeuge und Messtechnik auseinander?
Markus Heseding: Die Branche Präzisionswerkzeuge ist fast doppelt so groß: mit rund 64.000 Fachkräften und einem für 2024 geschätzten Produktionsvolumen von 8,9 Milliarden Euro. Die Messtechnik setzt mit etwa der Hälfte der Mitarbeitenden (28.000) rund 5,6 Milliarden Euro um. Den Löwenanteil verbucht die Längenmesstechnik mit etwa 10.000 Mitarbeitenden und 2,3 Milliarden Euro Umsatz, gefolgt von der Prüftechnik.
2023 verbuchten die Hersteller im Bereich Längenmesstechnik im Export noch einen deutlichen Anstieg, 2024 gab es Einbußen.
HC: Warum ist die Messtechnik so eng mit der Metallbearbeitungsbranche verbunden?
Markus Heseding: Das liegt in der Natur der Sache: Es werden neue Geometrien erzeugt, die analysiert und dokumentiert werden müssen. Es dreht sich alles um die Qualitätssicherung in der industriellen Fertigung, von der Werkzeugmaschine über Werkzeuge, Spanntechnik, Roboter bis zur Automation und ein bisschen Intralogistik ist auch dabei. Da gibt es Gemeinsamkeiten, denn die Kunden der Längenmesstechnik- und der Werkzeughersteller sind oft identisch. Bei der Prüftechnik war das in der Vergangenheit anders. Das hat sich aber mit der Elektromobilität geändert, weil dort beispielsweise die Längenmesstechnik von Prüfverfahren wie Computertomografie und Röntgen abgelöst wurde, um Batterien & Co. zu testen.
HC: Was werden die Highlights auf der Messe Control sein?
Markus Heseding: Die Highlights werden natürlich die Längenmesstechnik-Aussteller liefern: Da werden alle Marktführer ihre Innovationen und Neuentwicklungen zeigen.
Wir werden die Umsatzrückgänge von Automobil nicht mit Defense kompensieren können.
HC: Wie schätzen Sie das Potenzial ein: Wird sich die Metallzerspanungsindustrie durch die Rüstungsaufträge auch umsatzmäßig deutlich weiterentwickeln? Könnten die Präzisionswerkzeuge in absehbarer Zeit von 8,9 auf 15 Milliarden Euro Produktionsvolumen pro Jahr klettern?
Markus Heseding: Diese Steigerung der Produktion würde ich mir wünschen, sie ist aktuell eher unwahrscheinlich. Defense ist natürlich wichtig – da haben wir derzeit ja auch gesellschaftlichen Konsens –, aber wir werden die Umsatzrückgänge von Automobil nicht mit Defense kompensieren können. Der zivile Sektor wird nach wie vor für uns der Wichtige sein und bleiben.
HC: Was sind die aktuellen Trends in der Messtechnik?
Markus Heseding: Die Messtechnikbranche profitiert derzeit vor allem von der digitalen Entwicklung, globalen Vernetzung und Kommunikation der Maschinen. Für diese Schnittstellenprojekte haben wir den OPC-UA-Standard für die Längenmesstechnik entwickelt, mit dem Ziel: weg von proprietären Schnittstellen hin zu Plug-and-play. (Anmerkung der Redaktion: OPC-UA steht für Open Platform Communications Unified Architecture und ist ein industrieller Kommunikationsstandard. Er sorgt dafür, dass Maschinen unterschiedlicher Hersteller ihre Daten in einem einheitlichen Format bereitstellen können.) Denn: Wir brauchen unsere hochqualifizierten Software-Entwickler und Mitarbeiter für innovative Tätigkeiten wie neue Services und Applikationen für unsere Kunden und nicht für Routinearbeiten. Branchenübergreifend arbeiten wir an einem OPC-UA-Standard spezifisch für das Schleifen von Präzisionswerkzeugen. Das Projekt läuft seit eineinhalb Jahren und wird demnächst beendet sein. Coole Sache: So wird mit Experten der Schleifmaschinen, Längenmesstechnik und Präzisionswerkzeuge echte Hochpräzision erzeugt.
HC: Generell verändert sich im Messraum gerade viel?
Markus Heseding: Ja, die Messtechnik muss auf neuestem Stand sein, um den Aufbau einer neuen Produktionslinie oder auch Kunden-Reklamationen erfolgreich zu bearbeiten – denn im Zweifelsfall muss man heute dokumentieren können, was mit dem Bauteil passiert ist. Das Abnahme-Protokoll vor der Auslieferung kann prinzipiell lebensentscheidend für die Firma sein. Mit einer genauen Messung kann man vieles nachweisen. Deshalb hat das Thema Inline-Messtechnik und 100%-Prüfung mehr denn je große Vorteile, gerade mit Blick auf die Dokumentation.
HC: Und die Daten?
Markus Heseding: Inline-Messtechnik liefert viele Daten, die ausgewertet werden müssen. Da lässt sich in absehbarer Zeit viel mit KI machen. Auch das wird wieder einiges verändern.
HC: Daten und KI wären doch ideal für junge Leute?
Markus Heseding: KI könnte das richtige Tool und eine schöne Aufgabe für IT-affine Nachwuchskräfte sein: An mehreren Bildschirmen und Programmen simultan Daten analysieren, auswerten, repräsentativ aufbereiten und darstellen. Und damit die Prozesse im Unternehmen effizienter gestalten.
Die Broschüre ‘Mut zur Freiheit – Reformen anpacken. Gemeinsame Wirtschaftspolitische Positionen’ finden Sie hier.
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