Dr. Anika Jansen ist Senior Economist beim Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung.
Julia Haack / KOFA

Dr. Anika Jansen: Internationale Fachkräfte bieten Chancen

Qualifizierte Arbeitnehmer aus aller Welt können ein Mittel gegen den Fachkräftemangel in Deutschland sein.
14.08.2025von Jennifer Uhlenbruch

Dr. Anika Jansen ist Senior Economist beim Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung – einem Projekt, das im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums durchgeführt und am Institut der deutschen Wirtschaft angesiedelt ist. Im Interview spricht die Expertin über den Fachkräftemangel und gibt Auskunft, wo Hidden Champions bei der Suche nach internationalen Mitarbeitenden Unterstützung erhalten.

HC: Wie sehr belastet der Fachkräftemangel derzeit die deutsche Wirtschaft?

Dr. Anika Jansen: Trotz angespannter Wirtschaftslage haben wir in Deutschland immer noch einen starken Fachkräftemangel. Seit 2010 ist er immer stärker gestiegen. Das Institut der deutschen Wirtschaft berechnet jedes Jahr die Fachkräftelücke. Diese besagt, wie viele Fachkräfte fehlen, selbst wenn alle derzeit Arbeitslosen eine fachlich passende Stelle besetzen könnten. Das ist eine rein rechnerische und letztlich tief bemessene Zahl, weil der arbeitslose Kfz-Mechaniker aus München nicht unmittelbar eine Stelle in Berlin besetzen würde. Aber selbst, wenn wir davon ausgehen, dass das möglich wäre, könnten derzeit 490.000 offene Stellen nicht besetzt werden. In den vergangenen zwei Jahren ist die Zahl zwar etwas zurückgegangen, aufgrund der Kriege und Wirtschaftskrisen. Aber im historischen Vergleich ist sie immer noch hoch – und sie wird auch wieder weiterwachsen.

HC: Weil sich der demografische Wandel weiter verschärft?

Dr. Anika Jansen: Die Babyboomer sind teilweise schon in Rente gegangen. Der geburtenstärkste Jahrgang war aber 1964, sprich: Die meisten dieser Menschen stehen derzeit noch im Arbeitsleben, werden aber in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen. Die nachkommenden Generationen sind einfach nicht so geburtenstark. Meine Institutskollegen haben eine Prognose erstellt, dass 2028 etwa 768.000 Fachkräfte fehlen werden, wenn nicht ausreichend gegengesteuert wird.

Dr. Anika Jansen ist Senior Economist beim Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung. Julia Haack / KOFA

Der Fachkräftemangel ist ein Forschungsthema von Dr. Anika Jansen.

HC: Welche Wege gibt es, um den Fachkräftemangel abzufedern?

Dr. Anika Jansen: Es gibt verschiedene Stellschrauben, an denen gedreht wird und die auch weitergedreht werden müssen. Wir müssen versuchen, ältere Menschen stärker im Erwerbsleben zu halten. Viele Frauen arbeiten in Teilzeit – das ist ebenfalls ein Thema. Aber wir brauchen auch dringend internationale Fachkräfte.

HC: Wir haben bei Hidden Champions nach der Bedeutung von internationalen Fachkräften im Unternehmen gefragt. Viele haben geantwortet, dass es für sie kein Thema sei. Wie kann das sein?

Dr. Anika Jansen: Das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung hat Unternehmen zu der Bedeutung internationaler Fachkräfte befragt. Das Ergebnis war, dass neun von zehn Unternehmen internationale Fachkräfte grundsätzlich als Bereicherung sehen. Gerade bei den Hidden Champions, die oft international aufgestellt sind, sehe ich die Vorteile besonders, denn internationale Fachkräfte könnten ein Verständnis für andere Absatzmärkte, Kulturen und Sprachen ins Unternehmen tragen.

Aber: Wenn man die Unternehmen fragt, ob internationale Mitarbeitende ein Fachkräftepotenzial für das eigene Unternehmen darstellen, sagen nur noch 36 Prozent der kleineren Unternehmen, 54 Prozent der mittleren und 65 Prozent der großen Unternehmen, dass sie das so sehen. Viele haben zwar Mitarbeitende aus anderen Ländern in ihren Unternehmen, weil Deutschland ein Einwanderungsland ist, aber mit Recruiting aus dem Ausland haben die wenigsten Erfahrung.

HC: Woran liegt das?

Dr. Anika Jansen: Die Unternehmen haben Hemmungen und sehen auch die Herausforderungen. Eine davon ist, dass es oft einige Monate dauert, bis der Mitarbeiter seine Stelle antreten kann. Denn erst, wenn dieser ein konkretes Arbeitsangebot hat, kann er ein Visum und nach Einreise eine Aufenthalts- bzw. Beschäftigungserlaubnis beantragen. Das dauert alles. Natürlich ist es mit einer deutschen Fachkraft entspannter und schneller. Außerdem sind sich viele Unternehmer nicht sicher, wie die Rechtslage ist. Ein weiterer Aspekt ist, dass es ihnen häufig schwerfällt, die Qualifikationen von ausländischen Fachkräften richtig einzuschätzen.

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Wir müssen uns klar machen, dass Deutschland nicht das einzige Land mit einem Fachkräfteengpass ist.

Dr. Anika Jansen

HC: Die bürokratischen Hürden sind schon länger ein Thema – sollten die nicht abgebaut werden?

Dr. Anika Jansen: Es hat sich viel getan, um es Arbeitnehmern und Arbeitgebern leichter zu machen. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz von 2020 war ein Schritt in die richtige Richtung. Seitdem entfällt die Beschränkung auf Engpassberufe. Wer eine anerkannt gleichwertige Berufsausbildung vorweisen kann und ein Jobangebot hat, darf seitdem grundsätzlich in Deutschland arbeiten. Die Bundesagentur für Arbeit muss seitdem nicht mehr prüfen, ob die jeweilige Stelle nicht auch durch Deutsche besetzt werden kann. Das vereinfacht und verkürzt das Verfahren.

Das Gesetz wurde im Jahr 2023 novelliert. Davor musste der neue Mitarbeitende genau in dem Beruf arbeiten, der auch anerkannt wurde. Heute gibt es viel mehr Flexibilität; ein anerkannter Mechatroniker kann zum Beispiel auch als Industrieelektriker arbeiten. Im IT-Bereich gibt es noch mehr Lockerungen. Da reicht es, wenn die Fachkraft über entsprechende Arbeitserfahrungen verfügt. Es geht weiterhin um qualifizierte Zuwanderung, aber der Gesetzgeber hat erkannt, dass die Ausbildungssysteme in anderen Ländern einfach anders sind und die Menschen dort oft durch Arbeitserfahrung ihre Qualifikation erhalten.

Ein weiteres Instrument ist die Chancenkarte, mit der qualifizierte potenzielle Arbeitnehmer einreisen können und ein Jahr Zeit haben, um sich in Deutschland einen Job zu suchen. Sie gibt es seit Juni 2024; im ersten Jahr wurden rund 11.500 entsprechende Visa ausgestellt.

HC: Welche Bedeutung haben Arbeitnehmer aus anderen Ländern des Schengen-Raums, die ja ohne Arbeitserlaubnis in Deutschland leben und arbeiten können?

Dr. Anika Jansen: Wir müssen uns klar machen, dass Deutschland nicht das einzige Land mit einem Fachkräfteengpass ist. In vielen Ländern des Schengen-Raums ist die demografische Struktur ähnlich. Spanien, das historisch bedingt und auch wegen der gleichen Sprache viele Einwanderer aus Lateinamerika hat, erleichtert deswegen gerade den Erhalt einer Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis.

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Wir haben ein relativ starres System, das sich noch stark an den Berufsabschlüssen orientiert.

Dr. Anika Jansen

HC: Ist Deutschland denn attraktiv für Menschen aus Drittländern?

Dr. Anika Jansen: Grundsätzlich ist Deutschland ein begehrtes Zielland für internationale Fachkräfte. Wenn man aber die hier lebenden Fachkräfte befragt, sind viele nicht mehr so zufrieden. In einer Studie, die sogenannte Expats befragt, landet Deutschland fast auf dem letzten Platz. Gründe dafür sind der angespannte Wohnungsmarkt, der Zugang zur Sprache und mangelnde digitale Prozesse. Aber auch die Möglichkeit, sozialen Anschluss zu finden, wird in Deutschland als sehr schwierig eingeschätzt.

Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung belegt auch, dass es schwierig ist, vorhandene Qualifikationen auf dem deutschen Arbeitsmarkt gut umzusetzen. Verhältnismäßig wenige internationale Fachkräfte arbeiten hierzulande entsprechend ihrem Qualifikationsniveau. Wir haben ein relativ starres System, das sich noch stark an den Berufsabschlüssen orientiert. Es tut sich zwar, wie erwähnt, etwas. Aber diese Entwicklungen dauern einfach.

HC: Wo bekommen Unternehmen, die internationale Fachkräfte einstellen möchten, Unterstützung?

Dr. Anika Jansen: Sie können sich an den Arbeitgeberservice der Bundesagentur für Arbeit wenden. Er arbeitet eng mit der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung zusammen, die Kontakt zu den Arbeitsagenturen in anderen Ländern hat. Außerdem gibt es bundesweit in vielen Orten Welcome-Center, die vielseitig helfen – bei rechtlichen- und sozialen Themen, teilweise auch beim Recruiting aus dem Ausland. Und auch bei uns, dem Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung, gibt es viele Informationen zum Thema auf der Internetseite.

HC: Was können Unternehmen noch tun?

Dr. Anika Jansen: Wenn der neue Mitarbeiter einmal da ist, kann das Unternehmen einiges dafür tun, dass er sich zurechtfindet und sozialen Anschluss findet. Ein Mentor sollte ihm zur Seite gestellt werden, der bei Behördengängen, Wohnungssuche und Kinderbetreuung hilft. Das sind ja Themen, die schon für Einheimische nicht immer leicht sind. Für internationale Fachkräfte sind sie besonders schwierig. Hier zu helfen, ist ganz wichtig für die soziale Integration, da ansonsten die große Gefahr besteht, dass die neue Fachkraft schnell wieder geht.

Möglichkeiten zur Entwicklung und Weiterbildung sorgen für zufriedene Mitarbeiter, die im Unternehmen bleiben.

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