„Keine Panik, ist nur Technik“, heißt ein Buchtitel der Bestseller-Autorin, Speakerin und Unternehmensberaterin. Vor der Gründung ihrer KI-Beratung Scailers war Kenza Ait Si Abbou Technik-Vorständin bei Logistik-Dienstleister Fiege und hat dort technologische Innovationen vorangetrieben. Im Gespräch mit „Hidden Champions“ gibt die Ingenieurin und Elektrotechnikerin Tipps zur IT-Strategie weiter.
HC: Sollte heutzutage jeder Hidden Champion einen Chief Information Officer (CIO) haben?
Kenza Ait Si Abbou: Definitiv ja! Denn die heutigen Geschäftsmodelle bauen entweder auf Technologie auf oder können ohne IT-Unterstützung und datenbasierte Entscheidungen nicht mehr wirklich weiter existieren. Daher ist es wichtig, dass jemand ganz oben den Hut für das Thema aufhat und dafür sorgt, dass es gesamtheitlich im Unternehmen berücksichtigt wird. Insbesondere beim Thema Daten und KI sollte die IT-Strategie absolute Chefsache sein, die Hand in Hand mit Unternehmensstrategie und -entwicklung gehen und stetig mit dem Geschäft weiterwachsen sollte. Der CIO sollte zudem die Trends im Blick haben, damit keine Chance verpasst wird.
Ich füge hinzu: Auch AI Leadership ist ein Fulltime-Job! Oftmals bekommen Führungskräfte die Position des KI-Chefs neben ihren Themen noch on top, ohne Budget, ohne Ressourcen. Das wird nicht funktionieren. Viele Unternehmer müssen diesbezüglich noch ihr Mindset ändern. Denn Technologie ist kein Accessoire, es ist die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens!
Kenza Ait Si Abbou hat in diesem Jahr die KI-Beratung Scailers gegründet und sieht sich als Brückenbauerin zwischen Mensch und Maschine.
HC: Die digitale Transformation ist eine elementar wichtige Aufgabe. Gleichzeitig befinden wir uns in einer wirtschaftlich angespannten Phase. Wie kann die Transformation genau jetzt dennoch gelingen?
Kenza Ait Si Abbou: Jetzt ist Krise und IT zu teuer – das kann nicht die Antwort sein. Es ist ganzheitlich zu prüfen, wo die Felder sind, in denen Kosten reduziert werden und der Cashflow gesteigert werden können und wo investiert werden muss, um künftig zu wachsen und Geld zu sparen. Die IT ist meist Teil der Krisenbewältigung. Denn wenn Unternehmen automatisieren, sich mit ihren Prozessen auseinandersetzen und diese optimieren, sparen sie morgen Geld. Aber dafür müssen sie heute investieren.
Man muss als Unternehmen nicht immer auf dem letzten Stand der Technologie sein, aber man muss sich stetig entwickeln und auf einem guten Stand bleiben. Jede Stagnation führt dazu, dass der Aufholbedarf später zu groß wird, denn die technologische Entwicklung ist exponentiell, nicht linear. Lücken später zu beheben, ist viel teurer als kontinuierlich zu investieren.
HC: Was ist der beste Weg zu einer individuell richtigen KI-Strategie?
Kenza Ait Si Abbou: Ich arbeite gern mit einem sogenannten AI Readiness Assessment, das auf einem Reifegradmodell basiert. Im Rahmen dieser Bestandsaufnahme schaue ich mir an, wo das Unternehmen in Sachen IT und Datennutzung steht, aber auch, wie die Organisation, die Strukturen, die Kultur, die Governance, die Führung beschaffen sind, wie Entscheidungen getroffen werden. Denn wir reden über eine Transformation, die sich über alle Bereiche im Unternehmen erstreckt. Basierend darauf kann eine Priorisierung der Use Cases und Initiativen erfolgen, die dann in eine individualisierte Roadmap einfließen. Die Roadmap wiederum ist auch für die Budgetplanung wichtig.
Digitale Transformation bedeutet nicht nur technologische Veränderungen, sondern auch einen kulturellen Wandel.
HC: Das dürfen Sie gerne noch etwas vertiefen …
Kenza Ait Si Abbou: Ich stelle fest, dass viele Unternehmen mit dem Thema Künstliche Intelligenz überfordert sind, da die Anzahl potenzieller Use Cases ein Stressgefühl erzeugt. Man sollte sich in Ruhe einen guten Überblick verschaffen, wo KI unterstützen kann und was man mit ihr erreichen möchte. Um Maßnahmen zu priorisieren, muss man sie nach dem Mehrwert und Aufwand für das Unternehmen bewerten. Die besten Anwendungsfälle sind diejenigen, die einen großen Mehrwert bieten bei wenig Aufwand. Und um das einordnen zu können, muss man wissen, wo man beim Thema Infrastruktur und Ressourcen steht, die Ausgangslage muss klar sein. Dazu sind beispielsweise die Fragen zu beantworten: Welche Talente sind vorhanden? Welche (Tech-) Infrastruktur steht zur Verfügung? Gibt es Daten in ausreichender Menge und Qualität? Sind die Fachexperten verfügbar?
HC: Stichwort KI-Talente – inwieweit sollte das Know-how intern aufgebaut werden beziehungsweise inwieweit bedarf es externer Expertise?
Kenza Ait Si Abbou: Man kann nicht nur auf externe Talente aufbauen, man muss auch auf interne Talente setzen. Die Mischung macht es. Das eigene Team kennt das Unternehmen, die Historie sowie die internen Abkürzungen. Externe Unterstützung bringt möglicherweise noch spezifischeres Know-how, den frischen Blick von außen sowie Best Practices aus anderen Unternehmen.
Für die Weiterentwicklung der Belegschaft ist es wichtig, ein gutes Enablement zu planen. Welche Jobprofile haben die Mitarbeitenden und wohin sollten sich diese entwickeln? Wie sind die Mitarbeitenden zu schulen, damit ihr Job im Unternehmen Bestand hat? Die Investition in Talente, in Fortbildung und Organisationsentwicklung sollte also weit oben auf der Agenda stehen. Schnell wird deutlich: Die KI-Strategie lässt sich nicht im stillen Kämmerlein entwickeln, das sind Themen, bei denen der HR-Chef ebenso involviert sein muss wie der Produktions-Chef, der Kopf des Vertriebs usw. Entscheidend ist, spätestens jetzt zu starten, am besten zunächst mit einer kleinen Mannschaft, einer Community of Experts. Ein sehr wichtiger Punkt ist dann die Kommunikation.
Kenza Ait Si Abbou kommt aus Marokko, hat Elektrotechnik in Spanien und Wirtschaftsingenieurwissenschaften in Berlin studiert. Nicht nur KI, auch Robotik ist ihr Spezialgebiet.
HC: Worauf kommt es bei der Kommunikation an?
Kenza Ait Si Abbou: Die Kommunikation wird oft unterschätzt. Sie muss jedes Teammitglied erreichen. Die Führungsebene muss klar vermitteln, was sie vorhat und wie sie das umsetzen will. Dann gilt es, zu wiederholen, wiederholen, wiederholen, auch wenn man es selbst nicht mehr hören kann. Rund um die Themen KI und Robotik gibt es Vorbehalte und Ängste, nicht zuletzt Existenzängste vor einem möglichen Jobverlust. Das darf nicht kleingeredet und sollte im Dialog mit der Belegschaft ernstgenommen werden. Je sicherer sich das Team fühlt, desto motivierter ist es, sich mit dem Thema proaktiv auseinanderzusetzen, offen und flexibel zu werden und sich selbst einzubringen. Dafür müssen die Strukturen geschaffen und ein gewisser Rahmen vorgegeben sein.
HC: Aktuell ist viel von der Souveränität der Infrastruktur die Rede. Worauf sollten Hidden Champions – vielfach sind es mittelständische, aber doch global aufgestellte Familienbetriebe – diesbezüglich achten?
Kenza Ait Si Abbou: Hidden Champions haben vielleicht noch einen Vorteil gegenüber börsennotierten Großunternehmen. Das klingt jetzt paradox: Aber der Vorteil könnte sein, dass sie mit der Digitalisierung teils noch ein bisschen hinterher sind. Sie haben nicht ihr gesamtes Fachwissen und ihre Daten in amerikanische Clouds hochgeladen, sondern immer noch Server vor Ort und viel Wissen in den Köpfen, das noch gar nicht digitalisiert wurde.
Sachwissen, Produkt- und Prozess-Know-how jetzt mit den technologischen Möglichkeiten zu kombinieren, ist die Riesen-Chance für die künftige Wettbewerbsfähigkeit!
HC: Hier liegt dann die Riesen-Chance bezüglich KI?
Kenza Ait Si Abbou: Ja, das Wichtigste, das diese Unternehmen haben, sind ihr Sachwissen, ihr Produkt- und Prozess-Know-how sowie ihre proprietären Daten. All dies jetzt mit den technologischen Möglichkeiten zu kombinieren, ist die Riesen-Chance für die künftige Wettbewerbsfähigkeit!
HC: Zurück zum Thema Souveränität der Infrastruktur …
Kenza Ait Si Abbou: Der Fokus sollte darauf liegen, europäische Tools zu nutzen, auch wenn eine hundertprozentige Souveränität im Zeitalter der Globalisierung kaum möglich ist und europäische Lösungen noch nicht das Skalierungsniveau amerikanischer haben – aber sie kommen immer mehr dahin. Wichtig ist, eine gute Balance zu halten und sich nicht erpressbar zu machen.
HC: Das leitet zur Resilienz gegenüber Cyberangriffen über. Ihre Tipps an die Unternehmensgruppe der Hidden Champions?
Kenza Ait Si Abbou: Sie sollten in Prävention und Schadensbegrenzung im Vorfeld investieren und das kontinuierlich. Für Prävention muss immer Budget vorhanden sein. Die Frage ist nicht, ob man von einem Angriff getroffen wird, sondern wann und in welchem Ausmaß. Oftmals sind gar nicht die technischen Schwachstellen die Einfallstore, sondern menschliche Fehler. Die Fortbildung der Mitarbeitenden muss regelmäßig stattfinden, sie müssen „aware“ sein und sollten sich beispielsweise nicht mit beruflichen Mail-Adressen auf privaten Seiten anmelden. Backup-Systeme und automatisierte Archivierungen müssen ebenso Standard sein wie segmentierte Netzwerke und Alarmsysteme. Und es muss einen analogen Notfallplan geben, wie das Geschäft weiterzuführen ist, falls die Systeme „down“ sind.
Unsere Karte zeigt, wo Innovation und weltweiter Erfolg auch abseits der Metropolen stattfindet.
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Nehmen Sie mit uns Kontakt auf, wenn Sie einen Hidden Champion kennen und dieser bisher nicht bei uns aufgelistet wird.
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