Prof. Dr. Maja Göpel: Abwärtsspirale verhindern!

Prof. Dr. Maja Göpel: Abwärtsspirale verhindern!

Warum Hidden Champions den Weg zu einer nachhaltigen Transformation mutig fortsetzen sollten.
23.09.2025von Stefanie Hütz

Die promovierte Politökonomin Prof. Dr. Maja Göpel fordert eine neue gesamtgesellschaftliche Vision, wie sich Wirtschaften und Wohlstand nachhaltig realisieren lassen. Deutschland und Europa sieht sie dabei in einer zentralen Rolle – gerade jetzt. „Wenn wir immer warten, bis es sich lohnt, ist es zu spät“, lautet ihre Botschaft und eine „Regenerative Economy“ ihr Ziel.

Prof. Dr. Maja Göpel ist als Politikökonomin spezialisiert auf Nachhaltigkeitspolitik und Transformationsforschung. Sie ist Professorin für Nachhaltigkeitstransformation an der Leuphana Universität Lüneburg, Mitbegründerin der Initiative „Scientists4 Future“ sowie des Science-Society-Netzwerks „Mission Wertvoll“. Sie ist außerdem Bestseller-Autorin und gefragte Rednerin – um zumindest einige ihrer Aktivitäten zu nennen. Wir haben die Vordenkerin für eine nachhaltige Zukunft gefragt, wie sich wirtschaftliches Handeln zukunftsfähig machen lässt.

Das Porträtfoto zeigt Prof. Dr. Maja Göpel.

Prof. Dr. Maja Göpel ist spezialisiert auf Nachhaltigkeitspolitik und Transformationsforschung.

HC: Donald Trump unterschrieb den Austritt aus dem Pariser Klimaschutzabkommen noch am Tag seines Amtsantritts. Das Wort Klimawandel kommt bei ihm nicht mehr vor und ist, wie es heißt, von den Regierungsservern getilgt. Entsprechende Forschungsprogramme werden nicht mehr gefördert. Hierzulande betont Friedrich Merz, dass Deutschland nur ein Prozent der Weltbevölkerung ausmache und für weniger als zwei Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich sei, was danach klingt, dass Deutschlands Engagement nicht so wichtig ist. Was sagen Sie dazu, dass das Thema Nachhaltigkeit aktuell in den Hintergrund rückt?

Prof. Dr. Maja Göpel: Die Idee, dass man es lassen könnte mit der Nachhaltigkeit, dass man sein Engagement jetzt auf kleinere Flamme herunterköcheln könnte zugunsten kurzfristig besserer Bilanzen, ist nicht zu Ende gedacht. Was kostet uns der Status quo? Es ist bis zu sechsmal günstiger in Klimaschutzmaßnahmen zu investieren als später die Schäden zu reparieren. Nicht handeln ist teurer als handeln. Die lineare Wirtschaft wird höchstens kurzfristig nochmals aufblühen. Wir sehen doch überall schon den Kampf um begrenzte Ressourcen. Und wenn Ökosysteme so stark ausgebeutet werden, dass sie sich nicht mehr regenerieren können, geben sie auch keine Ressourcen mehr her, selbst wenn wir noch mehr Geld drucken. Versorgungssicherheit hat eben reale physische Voraussetzungen. Jetzt ist crunchtime – die entscheidende Phase für ein Update von Wertschöpfungsketten.

HC: Was verstehen Sie unter dem Update von Wertschöpfungsketten?

Maja Göpel: Ein Umschwenken auf erneuerbare Ressourcen und zirkulär organisierte Prozesse, sodass der Druck auf Primärrohstoffe und das Müllaufkommen reduziert werden. Auch Nutzen-statt-Besitzen ist ein wichtiger Ansatz, also eine Dienstleistungsorientierung – es müssen nicht alle jede Maschine rumstehen haben. Hohe Lebensqualität bei geringstem ökologischem Fußabdruck, das ist die Fortschrittsformel des 21. Jahrhunderts. Die Frage – auch an Hidden Champions – lautet also: Wie schaffen wir das? Im Zusammenspiel aus Gesellschaft, Politik und Wirtschaft müssen wir dringend aus den gegenseitigen Schuldzuweisungen herauszukommen und  mutig die Rahmenbedingungen so umstrukturieren, dass diese Formel realisierbar wird, als Geschäftsmodell und Alltagsangebot.

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Studien unterscheiden mittlerweile zwischen CEOs, die „Transformers“ beziehungsweise „Sustainability Seers“ sind, und solchen, die traditionell agieren.

HC: Wie sehen Sie die Entwicklung in den deutschen Firmenzentralen?

Maja Göpel: Studien unterscheiden mittlerweile zwischen CEOs, die „Transformers“ beziehungsweise „Sustainability Seers“ sind, die mit Werten und Vorstellungskraft vorangehen und damit übrigens nicht zuletzt ihre Attraktivität als Arbeitgeber steigern, und solchen, die traditionell agieren. Ich kann nur allen raten, die Chancen zu sehen und darüber auch offen zu sprechen. Der Politik empfehle ich, mit den proaktiven Akteuren der Wirtschaft zusammenzuarbeiten.

Das Chart zeigt die Entwicklung zwischen 1971 und 2025.Earth Overshoot Day. Global Footprint Network

Der Erdüberlastungstag rückt jährlich weiter nach vorn.

HC: Welche Lösungsansätze sollten verfolgt werden?

Maja Göpel: Zunächst wünsche ich mir, dass wir uns mehr auf die Chancen konzentrieren und Geschichten des Gelingens darstellen. Das haben wir uns mit der „Mission Wertvoll“ zur Aufgabe gemacht. Ja, Strukturen wandeln ist mühsam. Daher braucht es Indikatoren, die Fortschritte anzeigen, und mutmachende positive Erzählungen darüber, wer schon alles unterwegs ist und was möglich wird. Durch veraltete, sozial und ökologisch blinde Indikatoren wird das Entweder-oder-Denken zwischen Nachhaltigkeit und Wirtschaft weiter aufrechterhalten, die Kosten des Status quo bleiben unsichtbar, so wie die Vorteile der Veränderung auch. Und zu jedem klugen Haushalten gehört nun mal eine Inventur, welche Bestände es gibt: Wie viel und welche Ressourcen können wir der Erde, den Böden, den Wasserkreisläufen noch entnehmen – Stichwort Earth Overshoot Day. Dazu benötigen wir klare Datenpunkte und Grenzwerte sowie entsprechende Preissignale. Dann wird Verschwendung teuer und Recycling sehr attraktiv. (Anmerkung der Redaktion: Der Erdüberlastungstag war in diesem Jahr am 24. Juli und rückt jährlich weiter nach vorn. Deutschland hatte „seine“ Ressourcen bereits am 3. Mai für dieses Jahr verbraucht.)

HC: Sehen Sie weitere wichtige Stellschrauben?

Maja Göpel: Vernetzung und Teamorientierung. Das Silodenken muss aufhören, wir brauchen systemisches Denken und einen designinspirierten Blick: Was ist die beste Kombination von politischen Instrumenten, um gesetzte Ziele zu erreichen – also eine klare Wirkungsorientierung. Die deutschen Unternehmen brauchen ja verlässliche Rahmenbedingungen, damit Innovationspfade planbar werden und sie nicht aus dem internationalen Wettbewerb gepreist werden. Die europäische Zusammenarbeit in der Politik ist an dieser Stelle von höchster Relevanz, gerade jetzt unter Trump 2.0. Das parteipolitische Infighting muss aufhören, bei dem alle Konzepte der Konkurrenten schlechtgeredet und deren Abschaffung angekündigt werden – nur weil sie von einer anderen Partei kamen. Dieser Zickzackkurs ist Gift für den Standort. In Umfragen haben viele C-Level- Entscheider kürzlich ausdrücklich gesagt: Sie wünschen sich, dass die Energiewende bis etwa 2035 abgeschlossen ist. Für viele ist es sogar standortentscheidend, an möglichst viel Erneuerbare Energie zu gelangen. Erneuerbare Energien sind letztlich auch ein Sicherheitsfaktor, wenn wir an die geopolitischen Rahmenbedingungen und das Erpressungspotenzial denken, das in anderen Energieträgern steckt. Wir brauchen Schwung nach vorn und sollten nicht retardieren. Dafür brauchen wir eine Innovation bei den Subventionen, sprich andere Anreizsysteme. Auch bei Investitionen sollte deren Wirkung evaluiert werden: Nur mehr Geld ist nicht gleich kongruent mit guter Qualität, das sehen wir eindrücklich im Bildungssystem.

HC: Was meinen Sie bezüglich der Anreizsysteme genau?

Maja Göpel: Schauen Sie sich einmal die Art von Wald an, die in weiten Teilen in Deutschland vorherrscht. Monokulturen ohne viel Leben zwischen den Baumreihen und damit auch keine Wasserspeicher, Resilienz gegen Insekten oder Biodiversitätsbeiträge. Für die Beforstenden war es aber rational, so zu pflanzen, da die Subventionen auf die maximalen Kubikmeter Holz pro Fläche ausgerichtet waren und Nadelbäume schnell wachsen. Inzwischen haben wir auch durch die Waldbrände schmerzlich gelernt, dass Misch- beziehungsweise Multigenerationen-Wälder und Agroforst die nachhaltigere Option sind. Zweites Beispiel: Bauen, bauen, bauen für Wohnraum lautet die aktuelle Devise. Dabei haben wir es jetzt schon mit Flächenfraß jenseits der Nachhaltigkeitsziele zu tun. Wie also können wir mehrere Nutzungsansprüche auf einem Quadratmeter bedienen? Räumliche Planung ist hier sehr wichtig, Quartiersmanagement, Nachverdichtung und eine Diskussion über Nutzungsmuster.

HC: Wie stehen Sie zu der oft gehörten Forderung nach Entbürokratisierung?

Maja Göpel: Ja, Entbürokratisierung ist wichtig, vor allem bei Antragstellung, Genehmigungsprozessen, Dokumentationen, aber auch so einigen detailverliebten Sicherheits- und DIN-Vorschriften, die wirklich absurd wirken. Aber Achtung: Deregulierung ist etwas anderes, da geht es darum, die Rechenschaftspflicht für private Akteure im großen Stil zurückzustutzen. Damit geht natürlich auch die Wirkungsorientierung verloren und die Stärksten oder auch Rücksichtslosesten bestimmen das Spiel im Markt. Der libertären Agenda geht es genau darum. Wir haben in Deutschland und Europa noch etwas mit guten Regeln zu gewinnen – und zu verteidigen. Wichtig ist, dass wir das Vertrauen in regelsetzende Instanzen erhalten, denn nur so können rechtsstaatliche Umgangsformen erhalten bleiben. Wann wirken Regeln, wann werden sie eingehalten? Wenn man das Gefühl hat, dass sie verbindlich sind und nicht morgen wieder aufgehoben werden. Menschen sind dann gewillt, sich zu bewegen, wenn sie keine Sorge haben müssen, dass diejenigen, die bei der Regierung am Tisch sitzen oder am rücksichtslosesten Geld und Macht einsetzen, profitieren. Trump versucht all das jetzt brutal zu zerstören und zwar nicht nur in den USA, sondern über seine Zoll-Erpressungen auch in anderen Ländern. Ob er der EU vorschreiben will, den Digital Services Act und Digital Markets Act abzuschaffen oder in den Handels-„Deals“ eine Abnahme von fossilen Energien aufzwingt, um die Grüne Transformation aufzuhalten: Hier ist genau der Gedanke des Bürokratischen ein Sicherheitsanker: vor dem Gesetz sind alle gleich und Willkür zu Gunsten der Loyalen ist nicht vorgesehen.

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Wenn irgendetwas unseren Wohlstand und unsere Wettbewerbsfähigkeit kaputtmachen wird, dann ist es der Klimawandel.

HC: Wie definieren Sie Wohlstand?

Maja Göpel:  Was Wohlstand ausmacht, ist historisch betrachtet immer wieder neu gesellschaftlich ausgehandelt worden und auch die Frage, wer wie davon profitieren sollte. Alle liberalen Denker – auch die Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft – sind sich einig, dass eine Wirtschaftsordnung in den Dienst der Gesellschaft zu stellen ist. Ganz im Sinne des Design-Ansatzes, den ich auch in meinem letzten Buch „Werte“ stark gemacht habe. Es ist nicht die Summe des Geldes entscheidend, das in einer Gesellschaft zirkuliert. Es ist die Summe der verfügbaren Lösungen, die Wohlergehen garantieren können für möglichst viele Menschen. Geld sollte investiert werden, um real bilanzierte Wertschöpfung zu ermöglichen – und nicht, um noch höhere Finanzwerte abzuschöpfen, koste es für Natur und Menschen, was es wolle. Von den Hidden Champions wünsche ich mir daher, dass sie dem verkürzten Wirtschaftsdiskurs diese Betrachtung entgegenstellen, entsprechend über unternehmerischen Erfolg sprechen und sich für bessere Bilanzregeln einsetzen, in denen der Schutz und die Regeneration von Natur- und Sozialkapital auch positiv zu Buche schlägt, anstatt „Kosten“ zu verursachen.  Denn wenn irgendetwas unseren Wohlstand und unsere Wettbewerbsfähigkeit kaputtmachen wird, dann ist es ein ungebremster Klimawandel.

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Für Deutschland kommt es gerade jetzt darauf an, den Anschluss an Zukunftstechnologien nicht zu verlieren.

HC: Da Sie im China-Germany-Dialogue-Council des Auswärtigen Amts sind und Einblick haben: Wie ist das Nachhaltigkeitsengagement Chinas zu bewerten, und was heißt das für Deutschland?

Maja Göpel: In China wurde gerade erstmals das Wachstum von den CO2-Emissionen entkoppelt – das ist ein Riesen-Durchbruch, auch wenn China weiterhin der mit Abstand größte CO2-Emittent der Welt ist. Für China wäre es am einfachsten, weiter auf Kohle zu setzen. Aber man hat erkannt: Elektrifizierung und Erneuerbare Energien sind sicherer, flexibler, schaffen weniger Abhängigkeiten und Schäden. Nicht nur die CO2-Bilanz fällt besser aus, auch die Verschmutzung der Luft nimmt ab. Chinas Energiehunger ist natürlich sehr groß, daher gibt es aktuell noch eine Parallelentwicklung aus Ausbau von Kohlekraftwerken und den Erneuerbaren. Aber: Allein in 2023 wurden in China so viele Erneuerbare zugebaut wie in Deutschland insgesamt vorhanden sind. China wünscht sich Stabilität und erkennt die prognostizierten Wachstumseinbußen durch Klimaschäden. Ungleich Trump mögen die Chinesen Wissenschaft. Damit China in den internationalen Abkommen bleibt, braucht es ein starkes Commitment der EU. Und: Klimapolitik ist längst Industriepolitik. Für Deutschland kommt es jetzt darauf an, den Anschluss an Zukunftstechnologien nicht zu verlieren.

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